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Ende einer Odyssee

Frans Francken d.J., Bergpredigt

2008 wurde in der BR-Fernsehsendung „Kunst & Krempel“ die „Bergpredigt“ des Antwerpener Barockmalers Frans Francken (1581-1642) vorgestellt. Der Münchner Kunsthistoriker Stephan Klingen erkannte das Gemälde als eines der Bilder, die in der Nacht auf den 30. April 1945 aus dem „Führerbau“ der NSDAP gestohlen wurden. Mit dem Fernsehauftritt begann für das Gemälde eine Odyssee, die mit der Versteigerung am 21. September 2023 bei NEUMEISTER in München nach 15 Jahren nunmehr ein gutes Ende finden kann.

In den Wirren vor dem Einmarsch der Amerikaner in München verschwanden beim so genannten „Führerbau-Diebstahl“ mehr als 600 hochwertige Kunstwerke, gekauft oder geraubt u.a. für das so genannte „Führermuseum", das Hitler in Linz geplant hatte. Rund 100 von ihnen tauchten nach dem Krieg wieder auf, doch der überwiegende Teil ist bis heute verschwunden: einer der größten und bis heute nicht aufgeklärten Kunstdiebstähle des 20. Jahrhunderts. Nach der Plünderung befand sich die „Bergpredigt“ von Frans Francken im Besitz eines Münchner Bürgers, der sie seiner Tochter schenkte, die von der Herkunft und Geschichte des Gemäldes nichts ahnte. Der Sohn der Beschenkten präsentierte es bei „Kunst & Krempel“, daraufhin wurde es im September 2009 durch das Bayerische Landeskriminalamt sichergestellt.

Zunächst lagerte das Kunstwerk dort in der Asservatenkammer, anschließend im Depot der Pinakotheken in München, während man versuchte, die ursprünglichen Besitzer ausfindig zu machen. Belegt ist durch Quellenmaterial in Deutschland und Frankreich, dass der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt die Holztafel mit dem ungewöhnlichen Querformat im Herbst 1943 im besetzten Frankreich für 7.500 Reichsmark (150.000 Franc) erstanden und für 10.000 Reichsmark an den Stab des „Führermuseums" in Linz verkauft hatte.

Fünf Jahre nach der Sicherstellung machten die Nichten des inzwischen ebenfalls verstorbenen Sohnes als Erbinnen die Herausgabe des Gemäldes gerichtlich geltend, das sich immer noch in der Obhut des Bayerischen Landeskriminalamtes befand. Eine vermeintliche Klärung der Provenienz brachte dann eher Verwirrung in die ohnehin schon komplizierte Angelegenheit: Als Erwerbung für das „Führermuseum“ in Linz war das Bild Eigentum des Deutschen Reiches und in dessen Rechtsnachfolge der Bundesrepublik Deutschland. Damit fiel das Kunstwerk in die Zuständigkeit des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, in dessen Verantwortung nun Recherchen aufgenommen wurden.

Hier glaubte man schnell fündig geworden zu sein, weil auf zwei Schätzlisten zur Vermögensanmeldung jüdischen Besitzes bei der Sammlerin Vally Honig aus Wien eine „Bergpredigt“ von Frans Francken genannt war. Da das einschlägige Werkverzeichnis zum Künstler nur ein einziges Gemälde mit diesem Thema nennt, wurde das Bundesamt zu dem Schluss verleitet, das Werk aus der Sammlung von Vally Honig mit dem aus dem „Führermuseum“ zu identifizieren. Damit musste das Bild als ein klarer Fall von Raubkunst gelten, da die gesamte Sammlung Honig in Österreich als durch die Gestapo entzogen eingestuft wird.

Nun könnte man meinen, dass damit die Verantwortung der Bundesrepublik für das einer jüdischen Familie entzogene Bild auf der Hand läge! Aber nein – im Gegenteil, das zuständige Amtsgericht argumentierte genau andersherum: Weil die „Bergpredigt“ entzogen wurde, habe sich das Gemälde nie im rechtmäßigen Eigentum des Reiches befunden – und daher könne der Bund heute auch kein Recht an dem Bild geltend machen. Die öffentliche Hand – verkörpert durch Exekutive und Judikative – hatte sich damit ihrer Verantwortung für das Gemälde entledigt und delegierte diese, einschließlich der nun im Raum stehenden Behauptung, es handele sich um NS-Raubkunst, an die in ihr Eigentumsrecht gesetzten Erbinnen der „Bergpredigt“.

Worin konnte nun deren Verantwortung bestehen? Vor allem wohl darin, mit aller gebotenen Sorgfalt und Geduld die Geschichte und die Herkunft des Gemäldes zu erforschen und transparent zu kommunizieren. Im Falle der „Bergpredigt“ wurde seit 2014 tatsächlich ein großer Aufwand betrieben. Noch einmal forciert durch das Auktionshaus NEUMEISTER, bei dem das Gemälde vor neun Jahren eingeliefert wurde. Heute sind wir daher um einige Erkenntnisse reicher, u.a. nach einem Forschungsprojekt des Zentralinstituts für Kunstgeschichte zum „Führerbaudiebstahl“ (2014 bis 2018), einem vielbeachteten Auftritt des Gemäldes auf der Fachtagung zur NS-Raubkunst der Evangelischen Akademie Tutzing 2015 und zwei großen Ausstellungen zum Komplex „Gurlitt“ in Bonn und Berlin, die das Bild als Leihgabe der Öffentlichkeit präsentierten.

Einig ist man sich heute, dass das Bild wohl kaum identisch sein kann mit jenem Werk, das der Familie Honig in Wien entzogenen worden ist. Die Spur des Gemäldes führt eindeutig nach Frankreich, aber selbst die aufwändigen Untersuchungen der so genannten „Taskforce Gurlitt“ haben bis heute keine Hinweise zu den Vorbesitzern der „Bergpredigt“ erbracht, von denen Gurlitt oder seine Kunstagenten das Gemälde 1944 erworben haben.

Acht Jahre Forschung und Recherche konnten die Herkunft nicht zweifelsfrei eruieren. Was folgt aus diesem Befund? Die Grenzen der Zumutbarkeit für die jetzigen Eigentümer sind jedenfalls schon lange überschritten. Wer könnte die Verantwortung für das Bild übernehmen, wenn nicht jener Staat, der sich vor Jahren aus der Verantwortung gewunden hat? Die kommende Auktion lässt sich vor diesem Hintergrund nicht anders bezeichnen als eine wahrlich typische Lösung für die neoliberale Grundierung der Wirtschaftswunderrepublik – „Der Markt wird es schon regeln“. Aber ist dort die Verantwortung wirklich gut aufgehoben? Insbesondere im Jubiläumsjahr der Washington Principles. Tatsache ist allerdings, dass kaum ein Objekt den Status quo in Deutschland so verkörpert wie diese Holztafel und ihre Geschichte.

Veranstaltungen zum Bericht:
Auktion 410: Jubiläumsauktion

Quelle: © Neumeister Münchener Kunstauktionshaus

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