 |  | Die Art Brussels ist auf das Gelände der Brussels Expo beim Atomium zurückgezogen | |
Die Art Brussels ist in diesem Frühjahr an ihren alten Austragungsort zurückgekehrt. Die 1968 gegründete Messe hat von 2016 bis 2022 sieben Mal auf dem zentrumsnahen Tour & Taxis-Gelände stattgefunden. Mit den dortigen Vermietern konnte jedoch keine Einigung über eine weitere Vertragsverlängerung erzielt werden. Nun ist die Messe – wie auch die BRAFA – wieder zurück in die Hallen der Brussels Expo gezogen, einem denkmalgeschützten Art Déco-Komplex, der für die Weltausstellung 1935 gebaut wurde. Vielen Ausstellern gefällt dieser neue, alte Austragungsort. „Diese Hallen sind spektakulär“, sagte der Berliner Galerist Jan Wentrup und verwies auf das imposante Deckengewölbe in der Halle 5. Auch Nele Verhaeren, Managing Director der Art Brussels, begrüßt diesen Schritt: „Bei Tour & Taxis gab es zwar einige Vorteile, aber auch ein paar Nachteile. Der Zugang zum Gelände und die limitierte Anzahl der Parkplätze wurden zum Problem. Außerdem ist die Brussels Expo ein professionelles Messezentrum, das den Aufbau für die Aussteller in vielerlei Hinsicht einfacher macht.“
Die Art Brussels definiert sich bereits seit vielen Jahren als Entdeckermesse. 152 Galerien aus 32 Ländern, davon 14 aus Deutschland, haben an der 39. Ausgabe teilgenommen. In vier Sektionen präsentierten sie rund 800 Künstler*innen. Kurator*innen und der Sammlernachwuchs beachteten besonders die Abteilung „Discovery“ mit bisher weitgehend unbekannten Newcomer*innen. Der Hauptsektor „Prime“ versammelte etablierte und Mid-Career-Künstler*innen, die Sektion „Rediscovery“ dann unterschätzte und vergessene Kunstschaffende des 20. Jahrhunderts. Und unter dem Label „Solo“ firmierten in die Tiefe gehende Einzelpräsentationen lebender Künstler*innen. Hier setzte die von dem Deutschen Michael Callies betriebene Brüsseler Galerie Dépendance auf den Berliner Maler Thilo Heinzmann. Ebenfalls von Dépendance wird die in Berlin lebende Koreanerin Haegue Yang vertreten, die parallel zur Messe im S.M.A.K. in Gent eine große Personale eröffnete.
Ein cooles Vintage-Filmplakat aus dem Jahr 1974, dessen Aufmachung ein wenig an Andy Warhols „Triple Elvis“ erinnert, bildet die Basis für eine Arbeit der belgisch-griechischen Künstlerin Danai Anesiadou ebenfalls bei der Galerie Dépendance. „La Race des ‚Seigneurs‘“, so der Titel von Film und Assemblage, ist eine Aneignung mit durchaus feministischem Subtext: Einem dreifachen Alain Delon hat die Künstlerin mit Kunstharz überzogene, persönliche Gegenstände beigesellt, darunter Schmuck, Haarnadeln, USB-Sticks, Kabel und Kieselsteine. Anesiadou macht in Brüssel derzeit rege auf sich aufmerksam, da ihr das Art Center Wiels ihre bisher umfangreichste institutionelle Einzelschau ausrichtet (Preis der Arbeit: 20.000 Euro). Die Düsseldorfer Galerie Van Horn hatte unter anderem Arbeiten von Jan Albers und Sabrina Fritsch im Gepäck. Van Horn-Betreiberin Daniela Steinfeld war nach einigen Jahren Pause wieder in Brüssel dabei und stellte fest: „Belgien ist nicht nur traditionell eine große Sammlernation, die Liebe zur Kunst manifestiert sich auch ganz aktuell in großartigen Sammlungen, Galerien und Institutionen.“
Belgiens liquide Sammlerlandschaft
In Belgien sind auch Christian Nagel und Saskia Draxler mit ihren Galerien in Berlin, Köln und München gut vernetzt; unterhielten sie doch zeitweise eine Filiale in Antwerpen. Ihre Beobachtung: „Der Markt in Belgien ist gekennzeichnet durch feine, diskrete und sehr solvente Sammler*innen, ähnlich wie im Rheinland oft schon in der zweiten oder dritten Generation. Seit Jahrzehnten ist der Markt in Belgien einer der interessantesten in Europa, und die Messe profitiert natürlich davon.“ Ein Eyecatcher an ihrem Stand waren Arbeiten der 1958 in Brüssel geborenen belgischen Video- und Objektkünstlerin Joëlle Tuerlinckx. Seit über 30 Jahren sammelt und archiviert Tuerlinckx Alltagsgegenstände, die sie neu arrangiert oder pur zur Schau stellt, so etwa ein altes Holzfenster, das sie in Südfrankreich entdeckt hat. Die Arbeit „Platres Gouaches, 1,2,3,4,5“ von 1976 besteht aus fünf weiß übermalten Kalenderblättern. Schon auf dieser frühen Arbeit beschäftigte sich die damals 18jährige Künstlerin mit Themen, die ihr späteres Werk prägen sollten: Licht und Schatten, Zeit, Raum und Wahrnehmung.
Die Galerie Jahn und Jahn aus München und Lissabon richtete Navid Nuur eine Solopräsentation ein, die im Zeichen des lebensspendenden Elements Wasser stand. Der 1976 in Teheran geborene und in Den Haag lebende Künstler arrangierte dafür Gemälde, Zeichnungen und 100 selbst getöpferte Trinkgefäße im Stil japanischer Keramik. Die merkwürdigen Vertiefungen an den Außenseiten der individuell geformten Becher stammen von pillenförmigen Nahrungsergänzungsmitteln, wie sie Leistungssportler zum Muskelaufbau einnehmen. Wer sich über dieses oder andere Themen mit dem Künstler unterhalten wollte, war während der Messe dazu eingeladen, sich mit Navid Nuur zu einer zwanzigminütigen Performance unter vier Augen in ein kleines Separee auf dem Stand zurückzuziehen (Preise zwischen 950 und 9.800 Euro).
Einen Schwerpunkt legte die Art Brussels in diesem Jahr auf den Mittelmeerraum. 26 Galerien kamen aus den Anrainerstaaten Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern. In der „Discovery Section“ gab es außerdem Spannendes aus Osteuropa zu entdecken. Der junge bulgarische Künstler Rudi Ninov, Jahrgang 1992, lebt in Frankfurt am Main, wo er 2021 an der Städelschule sein Studium beendet hat. In seiner ersten Einzelausstellung auf einer internationalen Messe führte er einen malerischen Dialog mit Vesselin Sariev (1951-2003), dem Vater seiner Galeristin Vesselina Sarieva aus Plowdiw. Sariev gehörte zu den wichtigsten Vertretern der Mail Art-Bewegung in den 1980er und 1990er Jahren. Rudi Ninov versteht seine abstrakten Gemälde als assoziationsreiche und persönlich gefärbte malerische Umsetzungen von Sprache, Symbolen, Sound und Musik (Preise zwischen 1.500 bis 9.100 Euro).
Die Stella-Judd-Mischung
Was am Stand der Brüsseler Galerie Sorry We’re Closed auf den ersten Blick aussah wie Wandskulpturen aus massiver glasierter Keramik, entpuppte sich bei näherem Hinschauen als ungewöhnliche Ensembles aus aneinandergetackerten Pappkartons. Die niederländische Künstlerin Machteld Rullens, Jahrgang 1988, war es eines Tages leid, immer nur auf Leinwand zu malen. Angesichts der vielen leeren Kartons, die sich in ihrem Studio in Den Haag stapelten, kam sie auf die Idee, diese doch einmal zu skulpturalen Gebilden zusammenzusetzen, mit Ölfarbe zu bemalen und ihnen anschließend mit Kunstharz ein glattes Finish zu verleihen. Diese auffallenden Resultate zwischen Shaped Canvases à la Stella und Minimal Boxes à la Judd waren bei Sorry We’re Closed bereits am ersten Tag der Messe bei Preisen zwischen 2.500 Euro und 9.500 Euro nahezu ausverkauft.
Edith Dekyndt, Cecilia Edefalk, Gunter Reski, Thomas Kiesewetter, Walter Swennen: Selbst wer ein kleines Werk dieser Künstler*innen erwerben will, muss normalerweise mehrere tausend Euro investieren. Am Stand des KickCancer Fund neben dem Haupteingang der Art Brussels wurden Werke dieser und Dutzender anderer Kunstschaffender in Postkartengröße jedoch zum Einheitspreis von 400 Euro angeboten. Welches Werk von wem stammte, wurde dem Interessenten erst nach dem Kauf mitgeteilt. Wer also einen guten Blick hatte und gleichzeitig etwas Gutes tun wollte, war am KickCancer-Stand an der richtigen Adresse. Der Erlös geht an die belgische Kinderkrebsforschung.
Einen echten Donald Judd zu besitzen, ist heute nur noch Multimillionären vorbehalten? Irrtum! Wer es nicht gerade auf eines der streng minimalistischen Boden- oder Wandstücke aus Metall, Sperrholz, Beton oder Plexiglas abgesehen hat, ist mit den farbigen Möbeln des US-Klassikers ebenso gut bedient. Neue Exemplare lassen sich bis heute bei der New Yorker Judd Foundation bestellen. In der Koje der Brüsseler Galerie Greta Meert waren dessen ungeachtet einige seltene Stücke aus den 1980er Jahren zwischen 8.000 Euro und 14.500 Euro erhältlich, die also noch zu Lebzeiten des Künstlers produziert wurden. Ein Zertifikat mit seiner Unterschrift gab es dazu.
Der 1961 in Buenos Aires geborene thailändische Installations- und Performancekünstler Rirkrit Tiravanija ist vor allem durch seine Kochperformances berühmt geworden, die er seit den 1990er Jahren an vielen Orten der Welt durchgeführt hat. Daneben entstehen aber immer auch Objekte in kleineren Auflagen. Seine neue Serie basiert auf klassischen japanischen Noh-Dramen aus dem 14. Jahrhundert. Tiravanija hat einzelne Fragmente daraus in prägnanter Blockschrift in hochglanzpolierte Edelstahlplatten lasern lassen. Poetische Sätze wie „So much Foam on the Water“ oder „I Wait for Nothing“ waren bei der Gladstone Gallery einzeln zu haben; sie lassen sich allerdings ebenso gut mit anderen Sprüchen kombinieren.
Ein Hingucker am Stand der 2010 in São Paulo gegründeten Galerie Mendes Wood waren die Vasen des 1988 geborenen Brasilianers Paulo Nimer Pjota, der eigentlich primär als Maler bekannt ist. Generell interessiert sich Pjota für die Verschmelzung ikonografischer Elemente unterschiedlicher Herkunft. Kunstgeschichte und Massenkultur gehen in seinem Werk Hand in Hand. Seine farbigen Vasen zitieren zwar klassische Vorbilder aus Griechenland oder China. Ihre Motivik aber ist absolut zeitgemäß, doch fürs bürgerliche Wohnzimmer vielleicht etwas zu provokant: Hanfblätter, Smileys, Bob Marley-Aufkleber, Skater-Motive und Hello Kitty (Preise zwischen 6.000 und 8.000 US-Dollar).
Fetisch Haare
Der Belgier Martin Margiela, Jahrgang 1957, galt auf Grund seiner avantgardistischen Entwürfe seit den späten 1980er Jahren als der beliebteste Modemacher des internationalen Kunstbetriebs. 2009 zog er sich aus seinem Unternehmen jedoch komplett zurück. Dass das seiner Kreativität keinen Abbruch tut, bewies er auf der Art Brussels mit seinen „Hair Portraits“ am Stand der Antwerpener Zeno X Gallery. Die atelierfrischen Collagen zeigen Magazincover mit Fotos weiblicher Filmstars der 1960er und 1970er Jahre, deren Konterfeis Margiela verunklärt, indem er sie mit Haarsträhnen verdeckt und ihnen so etwas dezent Animalisches verleiht. Sein Faible für Haare scheint familiär bedingt zu sein: Der Vater des Künstlers war Friseur (Preise je 10.000 Euro).
Wie in den letzten Jahren verzeichnete die Art Brussels über 26.000 Besucher*innen. Neben stadtbekannten Top-Sammler*innen wie Frédéric de Goldschmidt, Mimi Dusselier und Alain Servais waren zur Vernissage auch Künstler wie der Belgier Guillaume Bijl, die Deutschen Thomas Kiesewetter und Thorsten Brinkmann oder der Antwerpener Modemacher Walter Van Beirendonck in den Messehallen unterwegs. Terminliche Überschneidungen gibt es in diesem Jahr ausnahmsweise nicht. Das Berliner Gallery Weekend startet erst Ende dieser Woche.
Genügend Gründe, Brüssel auch einmal außerhalb der Art Brussels zu besuchen, gibt es zudem. So eröffnete Frédéric de Goldschmidt während der Messetage im zentral gelegenen Mode- und Designdistrikt der belgischen Hauptstadt die mittlerweile dritte Präsentation seiner Sammlung in seinem 2021 neu errichteten Art Center Cloud Seven. Es befindet sich in einem umgebauten Altbauensemble mit 1.500 Quadratmetern. Die jungen Kuratorinnen Benedicte Goesaert und Chantal Pattyn wählten unter dem Titel „Rooms of Resonance“ rund 60 Werke aus der Sammlung aus, darunter Arbeiten von Camille Henrot, Gabriel Orozco, Laure Prouvost, Ed Ruscha oder Wolfgang Tillmans. Die Schau ist noch bis 1. Oktober zu sehen.
Eine neue Anlaufstelle für das internationale Kunstpublikum stellt zudem die frisch eröffnete Galerie KIN in einem schicken Neubau direkt neben dem wichtigen Kunstzentrum BOZAR dar, deren Gründer Nicolaus Schafhausen im internationalen Kunstbetrieb wahrlich kein Unbekannter ist. Nach Leitungstätigkeiten etwa im Frankfurter Kunstverein, dem Witte de With Center in Rotterdam und der Kunsthalle Wien wechselt der erfahrene Kurator jetzt also auf die Händlerseite. Mit Jos de Gruyter und Harald Thys baut er bei seiner Eröffnungsausstellung auf gleich zwei Lieblinge der belgischen Kunstszene. 2019 bespielten die beiden den Belgischen Pavillon auf der 58. Biennale von Venedig.
Die kommende Art Brussels läuft vom 22. bis 25. April 2024.
www.artbrussels.com
www.cloudseven.be
www.kinbrussels.com
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